Dear Jim,
Thank you so much for drawing our attention to this outstanding new book, according to Frankfurter Rundschau a "Compelling Correspondence Collection at the Beginning of the Celan Year 2020". Please let me add the following links to three book reviews by
• FR:
https://bit.ly/371qY1r [Paul Celan: "A bitter letter - You deserve it"]
• FAZ:
https://bit.ly/2TwKPBP [Genius and Everyday World]
• TAZ:
https://bit.ly/387DHjs [The chance lies in semi-darkness]
Warmest wishes and enjoy the reading!
Edgar Hauster
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Sent: Wednesday, January 15, 2020 05:17
To: Czernowitz-L_at_cornell.edu
Subject: [Cz-L] Neuer Briefband Paul Celans
A new and original attempt to tell Paul Celan's life through a selection
of his letters (half of these unpublished).
PAUL CELANS BRIEFE:
Genie und Alltag
VON OLIVER JUNGEN-AKTUALISIERT AM 13.01.2020-21:27
Zeitreise in Briefen: Barbara Wiedemann hat einen Querschnitt aus Paul
Celans umfangreicher Korrespondenz ediert. Identifiziert wird die
Geliebte „Hannele“.
Den Weg der Anpassung bin ich nie gegangen, habe mich nie in Autor und
Privatperson aufgespalten“, heißt es in einem jetzt erstmals gedruckten
Briefentwurf Paul Celans an die rumänische Bekannte Nina Cassian vom
April 1962, also auf dem Höhe- oder vielmehr Tiefpunkt des tragischen
Zerwürfnisses zwischen dem wohl wichtigsten deutschsprachigen Dichter
des zwanzigsten Jahrhunderts und einem großen Teil des
Literaturbetriebs. Das Beharren auf Integrität mag erklären, warum
Celan, hochgradig sensibel für tatsächliche oder vermeintliche Obertöne,
selbst stilistische Kritik als Angriff auf seine Person und jüdische
Identität wertete: Rechte wie Linke hätten sich „zusammengetan . . ., um
mich zu hassen“, schreibt er weiter. Die erste zitierte Aussage aber
stimmt: Bei diesem Autor sind Werk und Biographie, komplexe Lyrik und
komplexe Persönlichkeit besonders eng verschränkt. Nach außen kann das
hermetisch wirken, aufeinander hin aber ist es durchsichtig.
Vielleicht liegt darin das immer schon enorme Interesse an den vielen,
emotional äußerst disparaten Briefen des Dichters begründet. Diese sind
zwar oft philologisch bedeutsam und stilistisch pointiert, immer aber
echte, riskante Lebensäußerungen, nicht literarische Prosa unter
falscher Flagge. Die meisten Korrespondenzen liegen inzwischen in
Buchform vor. Was Barbara Wiedemann, eine profunde Kennerin von Celans
OEuvre und Leben, nun herausgegeben hat, ist freilich ein Novum, der
faszinierende Versuch nämlich, den „ganzen Celan“ über seine Briefe zu
erfassen. Die voluminöse, hervorragend genau und verständlich
kommentierte Edition hebt an mit dem Schreiben des Dreizehnjährigen an
seine Tante Minna und reicht bis zum erschütternden Abschiedsbrief des
immer aussichtsloser gegen die Verdunkelung der Gedanken Ankämpfenden an
die letzte Geliebte, Ilana Shmueli, in dem die Empfängerin gebeten wird,
bei ausbleibenden Zuschriften Ruhe zu bewahren. Daran sei nur ein
Poststreik schuld. Acht Tage später, am 20. April 1970, nahm Celan sich
das Leben.
Notgedrungen stellt eine Briefausgabe über dreieinhalb Jahrzehnte hinweg
eine Auswahl dar, aber sie ist weit mehr als ein Best-of der
vorliegenden Editionen, und zwar schon deshalb, weil es sich bei knapp
der Hälfte der 691 Briefe um Erstdrucke handelt. Die bislang nur in
Archiven (oder gar nicht) zugänglichen Informationen erweitern die
Materialbasis der Celan-Philologie erheblich. Ebenso wichtig aber ist,
dass erst in einer solchen Zusammenschau Kontexte des Nebeneinanders
sichtbar werden. Wenn man sieht, wie derselbe Celan liebevoll an Frau
und Kind schreiben, enthusiastisch Übersetzungen anstoßen, den Tod des
„Schnauzbarts“ (Stalin) feiern, offenherzig auf Schülerfragen antworten,
Lektorate zurechtstutzen, Freunde anschwärmen, wunderschöne Trostbriefe
verfassen, bitter kalauern und blindwütig die Mehrzahl der deutschen
Intellektuellen der „Hitlerei“ bezichtigen konnte – vieles davon
zeitgleich –, ahnt man etwas vom Zersprungenen dieser Person.
Eine aufsehenerregende Entdeckung aus jüngster Zeit
Zum romantischen Celan hat es unlängst eine aufsehenerregende Entdeckung
gegeben. Fünf Briefe an eine unbekannte Geliebte namens Hannele aus dem
Sommer 1951 wurden versteigert. Die Affäre fiel in eine entscheidende
Lebensphase Celans, der noch in Paris Fuß zu fassen suchte. Mit der
Zusage der Deutschen Verlags-Anstalt für „Mohn und Gedächtnis“, den
ersten Gedichtband (eine frühere Publikation hatte Celan wegen vieler
Fehler zurückgezogen), begann sein Durchbruch. Und kurz darauf lernte er
seine spätere Frau, Gisèle Lestrange, kennen. Einige Briefe an Gisèle
sind in der Edition enthalten, emphatisch verliebte zunächst, später
solche, die sich an das Stabilisierende dieser Beziehung klammern. Die
Ehe ging durch viele Tiefen bis hin zum Mordversuch im Wahn. Im
Erstdruck finden wir zudem eine poetische Danksagung an Alfred Günther,
Lektor bei der bald von Celan angefeindeten DVA, für den
„unwirklich-schön“ gestalteten Gedichtband.
Paul Celan mit dem Ehepaar Demus, London 1955
Paul Celan mit dem Ehepaar Demus, London 1955 :Bild: Archiv/Klaus und
Nani Demus
Barbara Wiedemann lüftet aber auch das Geheimnis um die unbekannte
Geliebte Hannele. Es handelte sich um die 1926 geborene, 1951 bereits
geschiedene Berlinerin Hannelore Scholz, die der Student Celan an der
Sorbonne kennenlernte. Die beiden trafen sich 1967 noch einmal in Berlin
wieder. „Hannele“, die als Übersetzerin arbeitete und später den wenig
bekannten Maler Egon Hoelzmann heiratete, lebte noch bis zum Jahr 2011.
Die vorliegende Edition verdeutlicht indes, wie sehr der seit Juli 1948
in Paris weilende Celan „Anschluss ans Leben“ durch Beziehungen suchte:
Die Briefe an geliebte Frauen stapeln sich in diesen Jahren. Romantische
Zuschriften erhalten etwa die niederländische Widerstandskämpferin Diet
Kloos, die Jugendgeliebte Ruth Kraft, Erica Lillegg, die Ehefrau des
Wiener Surrealisten Edgar Jené (Celans vorausliegende Exil-Station), das
„liebe Reh“ Traute Ogris (eine Studentin) und von 1949 an Celans
unglückliche, wenngleich von Gisèle akzeptierte Lebensliebe Ingeborg
Bachmann. Aufgenommen wurden dabei natürlich auch die erst 2016
aufgetauchten und deshalb im Celan-Bachmann-Briefwechsel „Herzzeit“
(2008) fehlenden zwei intimen Briefe von 1957, in denen der aufgewühlte
Autor erwägt, für die „Liebste“ seine Familie zu verlassen.
In den Liebesbriefen wird ein zärtlicher Celan sichtbar, der zwar mit
Einsamkeit kokettiert, diese aber oft ins Poetisch-Symbolische umbiegt:
„meine Uhr steht still, mein Valet de chambre ließ sie gestern beim
Aufräumen des Zimmers fallen, ich habe also, wenn ich so sagen darf,
keine Zeit – endlich!“ Daneben erhalten wir Einblick in Celans
Arbeitsprozesse als Übersetzer und Lyriker, erkennen, wie akribisch er
(nach dem Wiener Publikationsdesaster) Verlagsfahnen korrigiert. Vor
allem aber gibt diese Sammlung Auskunft darüber, welche Schneise der
Verwüstung die Niedertracht – Störaktionen rechter Zuhörer, vor allem
aber die unbegründete Plagiatsanschuldigung durch Iwan Golls Witwe – in
das Leben des aufstrebenden Dichters geschlagen hat. In seiner
Verbitterung misstraute Celan selbst der wachsenden Anerkennung, die ihm
entgegengebracht wurde. Er überlegte, den Büchnerpreis abzulehnen; die
„Darmstädter Akademie“ firmiert hier bald als „sogenannte“. „Nazitum“
überall.
Viel bislang Unpubliziertes
Das alles erklärt sich natürlich aus der traurigen Vorgeschichte. Auch
zum Aufenthalt des Juden Paul Celan in zwei verschiedenen rumänischen
Arbeitslagern ist bislang Unpubliziertes zu lesen. Im Juli 1942 schreibt
er von dort an Ruth Kraft von seinen Sorgen um die kranke Mutter, nicht
wissend, dass die Nationalsozialisten die Eltern längst deportiert
hatten. Im Dezember 1943 scheint er eine gute „Nachricht von meinen
Eltern“ erhalten zu haben; da waren sie bereits ermordet. Man kann
verstehen, dass hier ein Charakter mit Misstrauen imprägniert wurde.
Als dann die „Goll-Affäre“ (auch darüber hat Wiedemann schon wegweisend
publiziert) ihre Kreise zog, sah Celan darin das antisemitische
Schauspiel, einen toten gegen einen lebenden Juden auszuspielen.
Zwischen 1960 und 1962 korrespondierte er wie besessen mit Leitfiguren
des Literaturbetriebs, immer Sorge tragend, allen Empfängern sämtliche
vermeintlichen Angriffe auf seine jüdisch-deutsche Literaten-Identität
mitzuteilen. Wer ihm darauf, wie Heinrich Böll oder Alfred Andersch,
Überempfindlichkeit oder Verschwörungsglaube attestierte, wurde fortan
zu den „Schurken“ und „Gangstern“ gezählt. Bald dünnte die Zahl der
Freunde stark aus. Zeitlebens wichtig blieb für Celan die Lyrikerin
Nelly Sachs.
Celans späte Jahre waren eine briefferne Zeit
In späteren Jahren, als sich Celan oft in psychiatrischer Behandlung
befand, beginnt eine „briefferne Zeit“; so nennt es Celan gegenüber dem
Komparatisten und Seelenverwandten Peter Szondi. Vor allem Frau und Sohn
werden mit um Dezenz bemühte Zuschriften bedacht. Auch neue Geliebte wie
Inge Waern oder Ilana Shmueli sind zu verzeichnen, aber diesen Momenten
der Lebensfreude gelingt es nicht mehr, das Dunkel zurückzudrängen: „es
ist spät geworden in meinem Leben, vor der Zeit“.
Bis zum Schluss reflektierte Celan das eigene Schreiben glasklar. Er
wusste sehr genau, dass seine nachtschwarzen, allenfalls in ihrem
Wohlklang und Urwortvertrauen tröstlichen Gedichte deshalb so
unmittelbar ergreifen, weil sie so nahe am Leben (lies: Abgrund)
errichtet wurden. Mehrfach verwahrt er sich gegen den Terminus
„Artistik“, so auch in einem bislang unpublizierten Brief an den
Verlagslektor Klaus Reichert. Selbst die schwer dechiffrierbaren späten
Gedichte des Bands „Atemwende“ seien „kein Weg nach innen“: Innen und
außen fänden sich darin „verstrebt, aufgehoben in der einen
Sprachwirklichkeit des Gedichts“. Geschrieben seien seine Gedichte dabei
keineswegs für die Toten, sondern „für die Lebenden . . ., allerdings
für diejenigen, die der Toten eingedenk bleiben (wollen)“. Was Paul
Celan damit meint, wird deutlich, wenn er die „Todesfuge“ das „Grab“
seiner Mutter nennt: ein heiliger Bezirk, der Literaturkritik nicht
zugänglich. Das ist ebenso prä- wie postmodern, die Rückkehr des
Magischen als sprachliches Absolutum.
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/neuer-briefband-paul-celans-16546018.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2
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Received on 2020-01-17 10:29:02